Stille



Eckhart Tolle schreibt in seinem Buch Eine neue Erde, "Es heisst, die Stille ist die Sprache Gottes. Dir der Stille bewusst zu werden, sobald du ihr im Leben begegnest, verbindet dich mit der formlosen und zeitlosen Dimension in dir, die jenseits des Denkens liegt, jenseits des Ego. Das kann die Stille sein, die in der Natur herrscht, die Stille in deinem Zimmer in der Morgenfrühe oder die Stille zwischen den Geräuschen. Stille hat keine Form, darum kannst du sie nicht durch Denken wahrnehmen. Denken ist Form. Sich der Stille bewusst zu werden bedeutet, still zu sein. Stillsein ist Gewahrsein ohne Denken. Du bist nie tiefer und essenzieller du selbst als dann, wenn du still bist."




 




Stille ist nicht von äusseren Bedingungen abhängig. Stille entsteht nicht nur, wenn es keine Hintergrundgeräusche mehr gibt, alle deine Geräte ausgeschaltet sind und du letztlich in einem ruhigen Raum sitzt. Allerdings kann äussere Ruhe eine gute Voraussetzung dafür sein, innere Stille zu finden. Innere Unrast, Aufgewühltheit, Gedankenlärm, selbst das kleinste Unbehagen können einen leisen Ort sehr laut werden lassen - hingegen durchdringt die Kraft der inneren Stille äussere Hektik und Lärm wie das Licht die Dunkelheit. Aus der Stille entsteht alles, alles ist von Stille umgeben, und in die Stille kehrt alles zurück.



Natürlich ist es einfacher, bei einem entspannten und friedlichen Waldspaziergang der Stille zu begegnen als in ganz alltäglichen Lebenssituationen, in denen du viel Ablenkung erfährst. Als der Buddha vor zweitausendsechshundert Jahren seine Lehren verbreitete, erzählte er den Menschen, dass sie sich einen ruhigen Ort im Wald suchen sollten, um dort zu meditieren. Nimm dir etwas Zeit, betrachte einen Baum und schau, wie still er ist. Setze dich zu ihm. Das kann dir helfen, Ruhe zu finden. Es ist aber nicht notwendig. Die Stille ist überall und in allem. Die Stille durchdringt alles Tun und Sein.




 
 

Stille finden



Wenn du der Stille begegnen möchtest und du keinen Zugang zu ihr finden kannst, liegt das meist daran, dass du dir des inneren Lärms nicht bewusst bist, der die Stille zudeckt. Suche dir einen ruhigen Ort, an den du dich ungestört zurückziehen kannst. Befreie dich von allen unnötigen Nebengeräuschen um dich herum, meistens läuft irgendwo noch Musik oder ein Radio, das du ausschalten kannst. Setze dich entspannt hin und schliesse die Augen. Mit mehr Übung kannst du sie auch offen lassen. Richte deine Aufmerksamkeit jetzt auf alles, was du noch hören kannst. Je nachdem, wo du dich befindest, hörst du vielleicht einen Vogel singen, Geräusche vorbeifahrender Autos, einen bellenden Hund oder das leise Summen des Kühlschranks in der Küche. Vielleicht ist es auch so still, dass du nur noch das Geräusch deines schlagenden Herzens hören kannst. Schärfe deine Sinne. Versuche jetzt, die Stille wahrzunehmen, die hinter den Geräuschen liegt. Die Stille, die da ist, bevor die Laute entstehen und die bleibt, nachdem die Laute wieder verstummt sind. Kannst du die Stille hören, die dazwischen liegt, aus der alles entsteht und in die alles wieder zurückkehrt?

 


Solange du deine Aufmerksamkeit auf diese Stille richtest, kannst du nicht denken. Sobald du zu denken beginnst, verlierst du deine Verbindung. Gedanken sind innerer Lärm, die dich davon abhalten, innerlich still zu werden. Wenn ein Gedanke kommt, halte nicht an ihm fest sondern lass ihn wieder gehen. Das kann am Anfang etwas schwierig sein, mit regelmässiger Übung wird es dir aber immer leichter fallen, deine Gedanken zu beobachten und sie wie Wolken am Himmel vorüberziehen zu lassen. Achte auf die Stille, die dich umgibt, schenke ihr deine ganze Aufmerksamkeit. Und plötzlich spürst du, wie es auch in dir selbst still wird und du keinen Unterschied mehr erkennst zwischen äusserer und innerer Stille. Alles ist eins. Du nimmst diese Stille mit deinem ganzen Körper wahr, fühlst dich mit allem verbunden. Darin liegt ein kurzer Augenblick des Erwachens.




 

Der Gebirgsbach - Eine Zen-Geschichte



Ein Zen-Meister wanderte schweigend mit einem seiner Schüler einen Bergpfad entlang. Als sie zu einem uralten Zedernbaum kamen, setzten sie sich darunter und assen eine einfache Mahlzeit mit Reis und Gemüse. Nach dem Essen brach der Schüler, ein junger Mönch, der den Schlüssel zum Geheimnis des Zen noch nicht gefunden hatte, das Schweigen und fragte den Meister, "Meister, wie kann ich ins Zen eintreten?" Der Meister blieb stumm. Fast fünf Minuten vergingen, während der Schüler ängstlich auf eine Antwort wartete. Er wollte gerade eine weitere Frage stellen, als der Meister plötzlich sprach, "Hörst du das Rauschen des Bergbachs?" Der Schüler hatte keinen Bergbach wahrgenommen. Er war zu sehr damit beschäftigt gewesen, über die Bedeutung des Zen nachzudenken. Als er nun begann, des Geräusches zu lauschen, verstummten seine lärmenden Gedanken. Zuerst hörte er nichts. Dann wich sein Denken einer erhöhten Wachsamkeit, und plötzlich hörte er tatsächlich das kaum wahrnehmbare Murmeln eines kleinen Baches in der Ferne. "Ja, ich kann es jetzt hören," sagte er. Der Meister hob den Finger und sagte mit einem Blick in den Augen, der auf eine Weise heftig und sanft zugleich war: "Trete von dort ins Zen ein." Der Schüler war verblüfft. Es war sein erstes Satori - ein Blitz der Erleuchtung. Er wusste, was Zen war, ohne zu wissen, was es war, das er wusste! Sie setzten ihren Weg schweigend fort. Der Schüler war erstaunt über die Lebendigkeit der Welt um ihn herum. Er erlebte alles wie zum ersten Mal. Allmählich begann er jedoch wieder zu denken. Die wache Stille wurde wieder von geistigem Lärm überdeckt, und bald hatte er wieder eine Frage. "Meister," sagte er, "ich habe nachgedacht. Was hättet Ihr gesagt, wenn ich den Bergbach nicht hätte hören können?" Der Meister hielt inne, schaute ihn an, hob den Finger und sagte: "Trete von dort ins Zen ein."




Musik, die deinen Geist beruhigt und dich Stille finden lässt:


https://open.spotify.com/playlist/2ywkjqdNscFpkxPBrGfE5r?si=PEDaHAIJQzm9uoc39CxVzw